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René Böll
"Tuschespiele"
in China
Von März bis Mai 1996 zeigte ich in den chinesischen
Städten Beijing ( Kunsthalle Chinas), Jinan (Kunsthalle Shandong),
Weifang (Drachenmuseum) und Xi"an (Kunsthalle Sha"anxi) meine Arbeiten
mit chinesischen Tuschen und meine Öl- und Aquarellbilder. In drei
dieser Kunsthallen stellte ich als erster Ausländer aus, deshalb
sind meine Erfahrungen für Kollegen vielleicht von Interesse ...
I. Es war ein langer
Weg von der Idee bis zur Realisierung dieser Ausstellungen, besonders
weil sie auf einem fremden Kontinent stattfanden und zudem noch in einem
Land, über das unsere Presse einhellig negativ berichtet... . Die
politischen und ökologischen Probleme in China sollen weder negiert
noch verharmlost werden, aber um so wichtiger sind Erfahrungen auf völlig
anderen Ebenen, und über einige davon möchte ich hier berichten.
Aus meiner Jugend erinnere ich mich an das
menschenverachtende Bild der "blauen Ameisen", das bis heute
die Vorstellungen vieler Westler bestimmt. Diese Vorurteile zu widerlegen
und vor allem auch die gegenseitigen Kontakte zwischen Künstlern
zu fördern, haben mich bewogen, meine Idee und meinen Wunsch, in
China auszustellen, zu verwirklichen.
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert bewundere
ich chinesische Kunst, Poesie und Philosophie. Anfang der siebziger
Jahre begann ich, mich verstärkt für chinesische Tuschmalerei
zu interessieren, besonders für die in der Tang- und Song-Dynastie.
In der Song-Dynastie wurde nur mit Tusche gemalt, fast abstrakte Bilder
auf einem geistigen Niveau, das völlig unterschiedlich zu dem der
europäischen Kunst jener Zeit war. Mich hat die Einfachheit und
zugleich die Schwierigkeit dieser Tuschtechnik begeistert, durch die
man mit sehr wenigen Linien sehr viel aussagen kann. Man muß konzentriert
arbeiten, fast schon meditativ, hat dabei aber ein Material zur Verfügung,
das uns Europäern sehr fremd ist, und bei dem man während
des Arbeitens nichts korrigieren kann.
Ich begann, chinesische Gedichte zu lesen,
vertiefte mich in die Philosophie, in die Naturphilosophie, den Daoismus.
Darin ist jeder ein Bestandteil der Natur, er befindet sich im Kreislauf
der Natur, was für mich sehr wichtig ist. Wenn ich zum Beispiel
auf einem Berg bin, empfinde ich ihn wie ein Lebewesen, ein heutzutage
fast steinzeitgemäßes Denken. Aber ich spüre einfach
gewisse Kräfte, fühle ein Leben in der Natur, in den Steinen,
den Wellen, im Wind, und all das versuche ich in meinen Bildern darzustellen
und auszudrücken.
Seit einigen Jahren übe ich mich in
"Tai Chi Chuan", dem sogenannten Schattenboxen und in der
daoistischen Gymnastik Qi Gong.
Mein Bemühen um die chinesische Kultur,
das sich nach Meinung vieler Chinesen auch in meinen Arbeiten widerspiegelt,
erleichterte den Menschen in China sicher den Zugang zu meinen Bildern.
Nach jahrelanger intensiver Beschäftigung
sollte ich nun meine "Tuschespiele", wie die Chinesen ihre
eigenen Arbeiten so poetisch nennen, neben die der bewunderten Meister
hängen und mich an ihnen messen lassen. Mein langgehegter Traum,
einmal in China auszustellen, ging somit in Erfüllung.
Chinesischen und deutschen Freunden, an erster
Stelle Dr. Ng Hong-Chiok und Anne Engelhardt-Ng in Bonn, die auch die
Texte für meinen Katalog übersetzten, und in deren Restaurant
"Hongkong" alle Ausstellungsvorbereitungen koordiniert wurden,
habe ich es zu verdanken, daß dieser Traum Wirklichkeit wurde.
In China war es vor allem die "Eastern Foundation for International
Art", in Jinan, Shandong, deren Generalsekretär Herr Zeng
Yi, mich in Jinan und Weifang willkommen hieß. Die Chinesische
Botschaft in Bonn unterstütze mich von Anfang an.
Während der langen Vorbereitungszeit überlegten
wir, welchen chinesischen Künstlernamen ich verwenden könnte;
wir wählten Binghu Shanren ( frei übersetzt: Der Einsiedler
vom Eissee), mein Atelier nannten wir Han bing shi (Atelier im Kalten
Eis ), und das nur unzulänglich übersetzbare chinesische Motto
meiner Ausstellung heißt: "De yi er yang wu" (etwa:
"Wenn man den Sinn gefunden hat, kann man die Form vergessen").
Zu meinen Namen und zu den Bezeichnungen fertigte der bekannte Maler
und Kalligraph Gu Gan wunderbare Siegel an.
Viele chinesische Kollegen hatten mich vorher
in Deutschland besucht und spontan Zugang zu meinen Arbeiten gefunden,
war ihnen doch der Gegenstand meiner Bilder - Wasser, Berge, Sonne,
Wolken, der Mensch als Bestandteil der Natur -, vertraut. Ermutigt und
unterstützt hat mich die spontane Bereitschaft vieler chinesischer
Kollegen, mir nicht nur ihre Technik, sondern auch ihre Geheimnisse
zu zeigen.
II. Öffentliche
Gelder oder Förderung durch Sponsoren in Deutschland zu finden
war äußerst schwierig, deshalb bin ich dem Goethe-Institut
Peking, der Lufthansa und dem Ministerium für Stadtentwicklung,
Kultur und Sport in NRW, die alle meine Ausstellungsreihe unterstützt
haben, zu besonderem Dank verpflichtet.
Das chinesische Fernsehen hatte vorher -
organisiert und finanziert durch das Bundespresseamt - die Regisseurin
Gao Nan nach Deutschland geschickt, um über die Vorbereitungen
zu berichten und ein Portrait von mir zu drehen. Dieser Film wurde in
China zu allen Eröffnungen im Fernsehen gezeigt und trug wesentlich
zum Erfolg der Ausstellungen bei.
Meine vier Ausstellungen dauerten - wie in
China üblich - zwischen vier und sechs Tagen.
Ihr Ablauf war ähnlich:
Fernsehaufnahmen und Pressekonferenz mit
Pressevorbesichtigung, jeweils 1 - 2 Tage vor der Ausstellungseröffnung.
Mittagessen
mit Presse- und Medienvertretern.
Die Eröffnungen fanden immer vormittags gegen
zehn Uhr statt; eine auf uns sehr festlich wirkende, offizielle Zeremonie
durch Vertreter des öffentlichen Lebens und durch berühmte
Künstler. Nach den Ansprachen das traditionelle Durchschneiden
des "Roten Bandes". Zu den Eröffnungen kamen außer
den geladenen Gästen noch jeweils zwischen 500 und 1000 Menschen;
insgesamt wurden die Ausstellungen von ca 30. - 50.000 Menschen besucht.
Nach dem Rundgang durch die Ausstellung, bei dem sich die Menschen sehr
intensiv mit den Bildern beschäftigten , viele Fragen an mich richteten
und sich mit mir fotografieren ließen, gab es eine Diskussionsrunde
von ca 10 - 20 Künstlern und Kritikern, die über die Bilder
sprachen und dabei immer wieder betonten, wie wichtig der Austausch
von Künstlern ist.
Im Anschluß an die Eröffnungsfeierlichkeiten
dann ein opulentes Mittagessen mit jeweils 40 - 60 Personen, darunter
Künstler und Kritiker, wichtige Vertreter der Industrie, des öffentlichen
Lebens, zahlreiche Helfer beim Aufbau der Ausstellung. In allen Städten
gab es dazu interessante Veranstaltungen und Diskussionen mit den örtlichen
Kunstakademien und Kunstvereinen. Zu den Eröffnungen kamen, wie
man mir erzählte, fast alle Professoren und Studenten der Akademien;
zuvor gab es meist einen Empfang und eine sehr intensive Diskussionsrunde
mit den Professoren. Themen waren immer wieder die unterschiedliche
Kunstausbildung in Deutschland und China und Stipendienmöglichkeiten.
Die "klassische" akademische Ausbildung
in China, das heißt, auch das Abzeichnen der Gipsköpfe, Aktzeichen
und Stillebenmalen sagen mir sehr zu, geben sie doch dem Künstler
eine gute Basis für späteres freies Arbeiten. Immer wieder
wurde der Wunsch nach mehr Informationen über die europäische
Kunst geäußert, und die Hoffnung, daß mehr Maler in
China ausstellen sollen. Die Menschen äußerten ihr Interesse
an meinen Bildern, wie ich es noch nie, auch nur ansatzweise zuvor,
erlebt hatte. Beschämend für mich war immer wieder, wie genau
sie unsere Kunst kennen, wie wenig wir aber von ihrer Kunst wissen.
Überwältigend war die herzliche Gastfreundschaft und der Humor,
es wurde viel gelacht und gescherzt. Ich habe viele Gastgeschenke aus
China mitgebracht, darunter einen wundervollen Stein zum Tuscheanreiben,
den mir der Direktor der Kunstakademie in Xi"an schenkte und ein Tuschwassergefäß,
das mir Arbeiter einer Cloisonnéfabrik schenkten, als sie meine
Ausstellung in Weifang besuchten. In China gibt es auch heute noch die
Sitte, Gästen eine Kalligrafie zu verehren; eine besonders schöne
schenkte mir der Direktor der Kunstakademie in Jinan.
Die Hilfsbereitschaft bei allen vier Veranstaltungen
war groß: Bei Verständigungsschwierigkeiten wurde übersetzt,
die schweren Transportkisten wurden aus- und eingepackt, die Bilder
gerahmt und gehängt.
Obwohl ich alles möglichst perfekt vorbereiten
wollte, klappte vieles einfach nur durch Improvisation.
Das Goethe-Institut in Beijing unter Leitung
von Dr. Kempf veranstaltete ein Symposium, zu dem etwa 60 Kritiker und
Künstler eingeladen wurden. Neben chinesischen Referenten hielt
Bence Fritzsche einen viel beachteten Vortrag über den Zugang zum
deutschen Kunstmarkt, der die immer wieder gestellten Fragen, wie man
in der Bundesrepublik ausstellen kann, beantworten konnte.
Bei den chinesischen Vorträgen freute
mich die Äußerung des bekannten Kritikers Liu Xiaochun besonders,
der mich als "besten ausländischen Tuschmaler" bezeichnete.
III. Der Maler Zhang
Guolong, den ich in Deutschland kennengelernt hatte, vermittelte die
Kontakte in Xi"an. Dort wurde ich zu einem Besuch des Shaanxi Instituts
für chinesische (Tusch_) Malerei eingeladen, und ich bekam das
Angebot eines mehrmonatigen Aufenthalts mit Atelier. An dieser Akademie
arbeiten einige der bekanntesten Tuschmaler Chinas. In der Kunsthalle
hielt ich einen Diavortrag über Tempera- und Ölmaltechniken
des 14.- 20. Jahrhunderts. Anschließend luden die Studenten mich
und ihre Professoren zu einem der in China üblichen Mittagessen
ein, bei dem etwa 20 verschiedene Gerichte und Bier und Schnaps gereicht
werden. Ausflüge in die Umgebung wurden organisiert: darunter ein
sechsstündiger Ritt zu einem daoistischen Kloster, zu einer früheren
Kunstakademie auf dem Land, und der Besuch der Ausstellung der Terrakotta_Armee
des Kaisers Qin Shihuang.
Während meines mehrwöchigen Aufenthaltes
wurde auch viel über andere Vorhaben gesprochen, zum Beispiel über
ein Forschungsprojekt der Universität Beijing zur gemeinsamen Erforschung
und gegenseitigen Vermittlung von Kunstgeschichte und kunsthistorischen
Fragestellungen, über Künstlerdörfer, in denen auch Gastateliers
für Ausländer eingerichtet werden sollen; viel wurde über
Austauschprogramme diskutiert, über Stipendien für chinesische
Künstler, über Gastateliers in weiteren Städten.
Einladungen zu sechs weiteren Ausstellungen
im kommenden Jahr wurden an mich ausgesprochen, so u.a. in die Innere
Mongolei.
Da ich alte Tusche sammele, brachte
ich für meine Arbeit einige Stücke aus dem 19. Jahrhundert
mit, außerdem neue Pigmente aus Mineralien, die ich für meine
Öl- und Aquarellbilder verwenden kann.
Als gute Vorbereitung auf Land und Leute kann
ich das Buch von Kuan Yu-Chien und Petra Haring Kuan: "Reisegast
in China" empfehlen, das im Reisebuchverlag Iwanowski (Dormagen
1994) erschienen ist.
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