Anne Engelhardt-Ng und Ng Hong-chiok
"Mit Farben zum Dao des Pinsels"
Nicht zufällig fand eine Ausstellung
von René Bölls Bildern im Jahre 1990 in der Drachengalerie
in Bonn statt, einem Ort, an dem die Arbeiten chinesischer Künstler
zeigten, auf welch unterschiedliche Weise die jahrtausendalte
chinesische Maltradition eine kreative Wiederbelebung erfahren
kann.
Nun ist René Böll ein Künstler,
dessen künstlerisches Schaffen eindeutig europäischen
Maltraditionen verhaftet ist - längere Zeit hat er sich mit
Maltechniken der Barock- und Renaissancezeit beschäftigt
- und doch scheint es eine gewisse (Seelennähe(, gewisse
Berührungspunkte mit der chinesischen Malerei und Philosophie
zu geben.
Die Beschäftigung mit chinesischen Tuschtechniken,
die René Böll zur chinesischen Literatenmalerei der
Song-Zeit führte, mag vielleicht nur ein äußerer
Anknüpfungspunkt gewesen sein für ein künstlerisches
Schaffen, das in eine andere Richtung verweist. So ist eine Serie
von Tuscharbeiten aus dem Jahre 1993 kein oberflächlicher
Nachahmungsversuch klassischer chinesischer Malstile und Sujets,
sondern eher als eigenwillige Fortsetzung seiner zuvor entstandenen
Öl- und Ei-Tempera-Gemälde zu verstehen, jedoch mit
einem anderem Medium, nämlich Tusche auf Xuan-Papier.
Im Gegensatz zu einer gewissen motivischen
Kontinuität in René Bölls Arbeiten, hat sich
der Maler mit seinen Tuscharbeiten auf ein Terrain gewagt, das
zu beherrschen sowohl in technischer als auch geistiger Hinsicht,
ein (Umdenken( verlangt. Tusche und Xuan-Papier, das im Westen
einfachheitshalber unter dem Sammelbegriff Reispapier bekannt
ist, sind äußerst sensible Medien, die einem Künstler
äußerste Beherrschung der Materie, technische Perfektion
und tiefe Konzentration, ja geradezu meditative Versenkung abverlangen.
Geschwindigkeit, Pinseldruck, Pinselhaltung, die Dichte bzw. der
Flüssigkeitsgrad der Tusche werden nahezu seismographisch
genau auf das hochempfindliche und schwer zu kontrollierende Xuan-Papier
übertragen, so daß jede Korrektur, jedes Zögern,
jede Unsicherheit - auch im übertragenen geistigen Sinn -
sichtbar werden und sich somit offenbart, ob sich der Künstler
mit dem Fluß der kosmischen Kräfte im Einklang befindet
und Qi in seinem Bild zum Ausdruck bringen kann.
René Böll hat diese Herausforderung,
wie er sagt, angenommen und versucht, wenn auch mit "unorthodoxen
Methoden" was Pinselführung, Bildaufbau und Komposition angeht,
einen eigenen Weg zu gehen in der gleichen Weise, wie es bereits
einige seiner chinesischen Künstlerkollegen im Bereich der
modernen Kalligraphie und Malerei getan haben.
Für den Umgang mit Farben ist nach Aussage
des Malers René Böll, die Theorie von Yin und Yang
von besonderer Bedeutung, so daß René Bölls
Tuscharbeiten als eine weitere Antwort auf die traditionelle chinesische
Tuschemalerei gesehen werden kann, die das Prinzip von Yin und
Yang in besonderer Weise zum Ausdruck bringt.
In Anlehnung an das Yin-Yang-Prinzip und
die Fünf-Elemente-Ernährung hat René Böll
eine umfangreiche Farbpalette entwickelt, die naturähnlichen
vergänglichen Pflanzenfarben nahekommt und in ihrer Gesamtheit
eine harmonische Farbwirkung erzielt. Zusätzlich zu den Ölfarben
, die eine kleine niederländische Firma anbietet, die sich
bemüht, auch unter Verwendung moderner stabiler synthetischer
Pigmente eine Farbpalette ähnlich der der "Alten Meister"
anzubieten, reibt er sich viele Farben aus natürlichen Mineralien
(Halbedelsteinen und Erdfarben) selber an. René Böll
möchte, wie er es ausdrückt, die Farben (yinisieren(
und (yangisieren(, die Farben von warmen zum kalten Pol, von hell
zu dunkel verändern.
Diese äußere farbliche Harmonisierung
von hell und dunkel, warm und kalt, fest und flüssig, Bewegung
und Ruhe scheint in den Bildern René Bölls auch motivisch
eine Entsprechung zu finden und erinnert an die Vorstellungswelt
des chinesischen Daoismus.
So sind die dargestellten Landschaften, die
fernab von den ablenkenden und abnutzenden Einwirkungen der zivilisierten
Außenwelt zu sein scheinen, Landschaften, die auf Ruhe und
Einsamkeit aufgebaut sind. Landschaften, in denen sich der Mensch
dem "Lauf der Dinge", dem Tao überläßt. Eingebettet
in die weichen, abgerundeten Formen der Berge und Hügelformationen,
umgeben von erdigen Farben, ist der Mensch, der sich in der Formation
des Todes, des Skeletts und des Totenschädels bereits im
Auflösungsprozeß befindet und den Übergang in
die Urelemente der Natur, in den kosmischen Naturkreislauf vollzieht.
Diese Auflösung des Menschen in der Natur, die er durch den
Tod erfährt und in René Bölls Bildern als friedlicher,
harmonischer Zustand erscheint, mag den westlichen Betrachter
vielleicht befremden, ist in der taoistischen Vorstellungswelt
jedoch kein schrecklicher Endzustand, sondern lediglich eine Erscheinung
des ewigen Naturkreislaufes.
Chuangzi hat den Tod sogar als einen Zustand
des höchsten Glückes bezeichnet, was in einer Anekdote
sehr anschaulich zum Ausdruck gebracht wird:
(Chuangzi sah eines Tages einen Totenschädel,
von der Sonne gebleicht, aber noch wohlerhalten. Ihn mit der Reitgerte
berührend sagte er: Warst Du wohl einmal ein Bürger,
der vor lauter Lebensgier den Verstand verlor und so in diese
Lage geriet? Oder ein Staatsmann, der, als sein Land unterging,
mit Schwert und Axt hingerichtet wurde? Oder ein Halunke, der
seinen Eltern und seiner Familie nichts als Schande hinterließ?
Oder ein Bettler, der in Hunger und Kälte verendete? Oder
bist Du so weit gelangt, nachdem Du im Laufe der Natur ein hohes
Alter erreicht hattest? Nach diesen Worten nahm er den Totenschädel,
legte ihn sich als Kissen unter den Kopf und schlief ein. Des
Nachts träumte er, daß ihm der Schädel erschien
und sagte: Mein Herr, Ihr habt fast so gut gesprochen wie ein
Advokat. Aber Eure Worte bezogen sich bloß auf das Leben
unter den Menschen und auf die Sorgen der Sterblichen. Im Tod
gibt es davon nichts. Wollt Ihr darüber hören? Und als
Chuangzi bejahte, sprach der Schädel weiter: Im Tode gibt
es keine Herrscher oben und keine Untertanen unten. Der Lauf der
Vier Jahreszeiten ist unbekannt, unser Leben mißt sich an
der Ewigkeit. Selbst ein König unter den Menschen kann kein
größeres Glück empfinden, als es uns zuteil wird.
Chuangzi war noch nicht ganz überzeugt und fragte: Vermöchte
ich mit der Hilfe des Schöpfers, daß Dir Dein Körper
wiedergegeben würde, Deine Knochen und Dein Fleisch erneuert
würden und Du zurückkehren könntest zu Deinen Eltern,
zu Weib und Kind und zu Deinen alten Freunden, würdest Du
dann nicht gerne davon Gebrauch machen? Da öffnete der Totenschädel
weit seine Augen, runzelte die Brauen und sagte: Was sollte ich
ein Glück größer als das eines Königs von
mir werfen, um mich noch einmal zu stürzen in die Mühen
und Sorgen der Menschheit?( (Zitat aus Dschuang Dsi: Das wahre
Buch vom südlichen Blütenland , Eugen Diederichs Verlag,
München, 7. Auflage, 1992, aus dem Chinesischen von Richard
Wilhelm)
(c)Copyright Anne Engelhardt-Ng und Ng Hong-chiok
Links:
http://www.dr.ng.de
Eine Einführung n die chinesische Tuschmalerei
und Vorstellung von 6 chinesischen Künstlern:
http://www.dr.ng.de/de03.htm
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