Anne Engelhardt-Ng
Einführung
zur Ausstellung "Namenlose Stille" von René Böll am
29.04.97 in der Konrad-Adenauer-Stiftung
Die Komplexität künstlerischen
Schaffens in wenigen Worten erläutern zu müssen, fällt
schwer. Was der Künstler während seines Schaffensprozesses
selbst erlebt, reflektiert und schließlich in seinen Werken
zum Ausdruck bringt, dies alles in die einengende und festgelegte
Welt der analytischen Begrifflichkeit zu drängen, gleicht
oft einer Gradwanderung, bei der man sich dem Künstler und
seinem Werk annähern oder aber auch seiner Authentizität
berauben kann. Nicht immer gelingt es, dem Künstler und seinem
Werk gerecht zu werden.
Denn oft sind es gerade die Bereiche , die
sich dem analytischen Geist entziehen, die das Werk eines Künstlers
interessant und anziehend machen, dem Vordergründigen die
Tiefe verleihen, die vom Betrachter zunächst nicht wahrgenommen
werden kann.
Jeder Künstler hat seine eigene Wahrnehmung
und somit auch seine eigene Ästhetik. Beide Bereiche, Wahrnehmung
und Ästhetik bilden eine ineinander verwobene Einheit, die
entdeckt werden muß, will man tiefer in ein Werk eindringen
und einen Weg des Begreifens finden.
Ich möchte nur einige Aspekte aus dieser
Einheit herausgreifen als Ausgangspunkt, als Versuch einer Annäherung
an das künstlerische Schaffen des Malers René Böll.
Es gibt meines Erachtens zwei wichtige Kraftfelder,
die in René Bölls künstlerische Arbeit hineinwirken:
zum einen die europäische Maltradition, die vor allem in
der Ausdrucksform und der formalen Ästhetik seiner Bilder
erkennbar ist, und zum anderem das künstlerische Schaffensverständnis,
das vom Geist der chinesischen Philosophie, insbesondere dem Daoismus,
beeinflußt ist und an das Selbstverständnis der traditionellen
chinesischen Tuschemalerei anknüpft.
René Böll hat sich, wie er sagt,
längere Zeit mit den Maltechniken der Barock- und Renaissancezeit
beschäftigt. Er war immer daran interessiert, "wie Rembrandt
es geschafft hat, diese Lichter und diese Dunkelheiten zu malen.
Besonders die sehr locker und flüssig gearbeiteten und in
mehreren sehr dünnen Schichten aufgebauten Bilder von Rubens
haben ihn maltechnisch beeinflußt und seine Arbeitsweise
bestimmt."
René Bölls intensive Auseinandersetzung
mit der Farbe, die ungewöhnliche Bedeutung, die er ihr beimißt,
mag hier eine Wurzel haben. Ausdauernd und mit einer leidenschaftlichen
Energie hat er im Laufe der Zeit einen ungewöhnlichen Schatz
unterschiedlichster Farben zusammengetragen: Erd- und Mineralfarben,
hunderte von Pigmenten natürlicher Erden, gemahlene Mineralien
wie Auripigment, Bergzinnober, Jaspis, Koralle, Malachit, Pflanzenfarben,
die leider oft nicht lichtecht sind, aber auch sehr viele moderne
organische Farben, die unter Beimischung mit anderen Pigmenten
den Pflanzenfarben nahekommen. René Böll bevorzugt
natürliche Farben, weil sie nach seiner Erfahrung lebendiger
sind und ein viel größeres Spektrum haben. Auch unterschiedliche
Tuschen befinden sich unter den Schätzen seines Ateliers:
Öl-Ruß-Tusche, die glänzt und die mattere Kiefer-Ruß-Tusche,
auch sehr alte Tusche, die für die graueren Töne besonders
gut geeignet ist. René Böll reibt sie, wie fast alle
seine Farben selbst an und erst bei Bedarf.
Aus dieser stark ausgeprägten Leidenschaft
für Farben hat sich eine spezifische Sensibilität für
ihre Qualität und Wirkung entwickelt, die in René
Bölls Malerei deutlich sichtbar ist.
Viele seiner zahlreichen kleinen Aquarelle
wirken wie Bekundungen an die Farben, deren Kraft, man könnte
fast sagen, reziprok zu den begrenzten Entfaltungsmöglichkeiten
des kleinen Formats demonstriert wird.
Der Betrachter von René Bölls
Landschaftsbildern in Eitempera und Öl wird unweigerlich
von den durch Farben erzeugten atmosphärischen Lichtwirkungen
angezogen, die manchmal ins Mythische überhöht erscheinen
und dem tatsächlichen Bildthema einen geheimnisvollen, hermetischen
Charakter verleihen. Anklänge an den metapherhaften Einsatz
von Licht und Farbe in den Gemälden des späten Turners
drängen sich auf, aber auch Assoziationen mit den schweren,
gerundeten und fließenden Formen in der Malerei Edvard Munchs
werden beim Anblick der kargen Landschaftsgebilde in dunklen,
erdigen Tönen geweckt.
Doch René Bölls Form- und Farbensprache
läßt jene Dramatisierung vermissen, die bei diesen
Malern, man ist geneigt zu sagen, in der europäischen Maltradition
schlechthin, mehr oder weniger vorherrschend ist.
Im Mittelpunkt von René Bölls
Farbästhetik steht die Harmonisierung, eine Harmonisierung,
die sich auf die chinesische Vorstellung von Yin und Yang beruft,
Einanderentgegengesetztes, aber auch sich Ergänzendes als
eine natürliche Einheit begreift. So müssen hell und
dunkel, warm und kalt, fest und flüssig, kurz gesagt, alle
Eigenschaften, die sich in der Farbe treffen, erkundet und erfaßt
werden, um sie zu einer natürlichen, harmonischen Einheit
zusammenzubringen. Es fällt auf, daß René Böll
in seinen Bildern die Lasurtechnik bevorzugt und die Möglichkeit
der additiven und subtraktiven Farbmischung seiner Vorstellung
von der harmonischen Wandelbarkeit der Farben am nächsten
kommt, René Böll hat für die nuancenreiche Veränderung
der Farben vom warmen zum kalten Pol die Begriffe "yinisieren"
und "yangisieren" geprägt.
Dem aufmerksamen Betrachter von René
Bölls Malerei mag vielleicht bewußt werden, wie eingeengt
unsere Farbwahrnehmung oft ist.
Dieses auf der chinesischen Yin-Yang-Vorstellung
aufgebaute Farbverständnis, sowie die daraus abgeleitet äußerst
sensible Form der Farbbeherrschung findet ihren ausgeprägtesten
künstlerischen Ausdruck in der chinesischen Tuschemalerei
und Kalligraphie. So ist es nicht verwunderlich, daß sich
René Böll seit mehreren Jahren dem Genre der chinesischen
Tuschemalerei zugewendet hat, wo die schwarze Tusche sozusagen
die Essenz aller Farben vereinigt, und das natürliche Phänomen
der Wandelbarkeit und deren Beherrschung ihre subtilste Ausprägung
gefunden hat.
Es ist vielleicht der spezifische Geist,
der dahinterstehen muß, um die Tuschemalerei zu beherrschen.
Versteht man die Malerei als eine spezifische Ausdrucksform des
Begreifens, so ist die spezifische Form des Begreifens der chinesischen
Tuschemalerei die chinesische Naturphilosophie, mit ihrer besonderen
Ausprägungsform, dem Daoismus.
Offensichtlich ist es dieser mit der Malerei
so eng verknüpfte Naturbezug, der dem künstlerischen
Selbstverständnis und Temperament des Malers René
Böll so nahe kommt.
Wenn René Böll als Titel für
seine Gemälde Badashanren, jenen eigenwilligen buddhistisch-daoistischen
Mönchsmaler des 17. Jahrhunderts zitiert, oder Wang Wei,
den berühmten Dichter und Maler der Tangzeit, so deshalb,
weil diese in besonderer Weise eine der Natur verbundenen, daoistische
Sicht der Welt in ihrer Kunst zum Ausdruck gebracht haben.
So sind die in René Bölls Gemälden
dargestellten Landschaften, wie die chinesischen Landschaften
auch, nicht Ansichten von konkreten Gegenständen, sondern
Bedeutungsträger für etwas, was dahinter steht, über
die äußere Erscheinung der Dinge hinausweist. Die Landschaft,
im Chinesischen wird dieses Wort aus den beiden Zeichen für
Berg und Wasser gebildet, ist Synonym für die Natur in ihrem
weitesten Sinn. Die Natur befähigt im besonderen Maße,
über die äußere Erscheinung der Dinge hinauszuschauen,
ohne dabei die Freude und Faszination an ihren Formen und ihrer
Vielgestaltigkeit einbüßen zu müssen.
In vielerlei Hinsicht erinnern die Landschaften
in René Bölls Gemälden an die Vorstellungswelt
des chinesischen Daoismus. René Bölls Landschaften
strahlen Ruhe und Einsamkeit aus. Es sind Orte, die weit entfernt
liegen von den ablenkenden und abnutzenden Einwirkungen der lärmenden
Zivilisation, es herrscht eine andere Zeit als die der Geschichte.
Die Natur ist sich selbst überlassen. Ihre Elemente, Feuer,
Erde, Wasser, Luft, Sonne und Mond, Meere und Berge folgen dem
Dao, dem "ewigen Weg" in stetigem Wandel. Und auch der Mensch
ist, eingebettet in die Natur, nicht das Maß aller Dinge.
In der Form des Todes, dem Skelett oder Totenschädel - ein
sehr häufiges Motiv in René Bölls Arbeiten -
ist auch er in diesen großen Kreislauf des Dao eingebunden.
Nicht dramatisch oder romantisch klein liegt der Mensch im Auflösungsprozeß,
sondern natürlich, ohne Zeichen der Auflehnung. Leben und
Tod haben, wie alle Erscheinungen der Natur, keine Vorzeichen.
Uns mag diese Weltsicht befremden, wir kennen
sie nicht, oder vielleicht auch nicht mehr.
Viele Titel, die René Böll seinen
Arbeiten gegeben hat, wie "Selbstvergessen", "Der Natur entsprechen",
"Furchtlose Leere" oder "Baum werden" sind ebenfalls daoistische
Termini und signalisieren Intention und Methode des Künstlers
zugleich.
Die Bezeichnungen geben die verschiedenen
Momente wieder, die dem chinesischen Begriff Wuwei, dem "Nicht-Handeln"
zugrunde liegen. Wuwei umfaßt viele Aspekte, so auch die
genaue Beobachtung der Natur durch kontemplative Betrachtung -
nur so kann man die Eigenschaften und natürlichen Neigungen
der Dinge erfassen und ihnen folgen, Wuwei beinhaltet auch die
praktische Erfahrung mit den Werkzeugen - die alten Daoisten waren
nicht nur leidenschaftliche Alchimisten, sondern schätzten,
im Gegensatz zu den Konfuzianern, das Handwerk, weil es die wahre
Natur der Werkstoffe oft besser begriff als sophistisches Wissen
- und schließlich umfaßt Wuwei auch jene innere Ruhe
und Ausgeglichenheit, das "sich Leermachen" von den subjektiven
Bedingtheiten, von dem Wollen, das sich gegen das Natürliche
bewegt - wir würden es heute als manipuliertes Wollen bezeichnen.
Viele dieser kurz umrissenen Momente sind
auch im künstlerischen Schaffen und in den Werken von René
Böll gegenwärtig und lebendig.
Der Maler René Böll hält
sich gerne in der Natur auf, wo er seine Eindrücke in Skizzenbüchern
festhält. Er bereist viele Länder, Landschaften, die
noch der Natur überlassen sind, wie beispielsweise die Anden
in Ecuador, der Urwald und die Galápagosinseln, die Antarktis
faszinieren ihn. Auch die Jugendjahr in Irland mit seinen einsamen,
von Moos und Flechten überwachsenen, sonst vegetationsarmen
Landschaften spiegeln sich in den Landschaften seiner Gemälde
wieder.
Wie der daoistische Alchimist auf der Suche
nach dem Elixier des Lebens, ist auch der Maler René Böll
stetig auf der Suche nach immer neuen Farbsubstanzen und Farbmischungen.
Er lernt chinesische Tuschetechniken im Austausch mit chinesischen
Künstlern und vertieft sich in die Inhalte der chinesischen
Philosophie und Malerei.
René Böll meditiert, praktiziert
seit Jahren Taiqi und Qigong. Jene Energien gilt es durch Übungen
zu beleben, sie von Blockaden und Hemmnissen zu befreien, ins
Fließen zu bringen. Neben Körper soll auch der Geist
in seinen Fähigkeiten gestärkt werden. Der Bezug dieser
Übungen, insbesondere der mediale Aspekt, zum künstlerischen
Schaffen ist bekannt. (Qi ist, am Rande bemerkt, in der chinesischen
Kalligraphie und Malerei auch zu einem wichtigen ästhetischen
Qualitätsbegriff geworden. Wenn ein Bild bzw. eine Kalligraphie
kein qi hat, ist seine Qualität gemindert).
Die Fähigkeit der Sammlung und Konzentration
vor dem Malakt und das sich "Vergessen" während des Malaktes
setzt Potentiale frei, die bei klarem Verstand verbaut sind. So
ist es bezeichnend, wenn auch René Böll meint, daß
Bilder ihm besonders gut gelingen, wenn er sie in Trance malt,
am besten bei Morgen- und Abenddämmerung - einer Zeit des
besonderen Lichtwandels.
"Self-Achievement", Innenräume schaffen,
weniger nach außen gerichtete, aggressive Selbstdarstellung
ist das Anliegen der Kunst von René Böll und rückt
ihn damit dem fernöstlichen Künstlerbild oft näher
als dem vieler seiner westlichen Zeitgenossen.
Doch auch Bissier, Tobey, Grave u.a. haben
sich in ihrer Malerei auf fernöstliche Quellen bezogen und
ihre Möglichkeiten eigenen Ausdrucks erkundet und gefunden.
Sie mußten sich dabei nicht an traditionelle fernöstliche
Stile und Darstellungsweisen anhaften, sondern haben die westliche
Kunst um einen weiteren Aspekt bereichert.
In diesem Sinne sind auch die Tuschemalereien
von René Böll keine Nachahmungsversuche chinesischer
Vorbilder, sondern Ausdruck eines Geistes, der fähig ist,
sich außerhalb gängiger Kunstströmungen zu bewegen
und im Austausch mit anderen Kulturen eigenen Bilderwelten zu
schaffen.
René Bölls Tuschearbeiten haben,
was Pinseltechnik, Bildaufbau und Komposition angeht, eine authentische
Ausdrucksform gefunden. Thematisch knüpfen sie an die Motive
seiner Öl- und Eitempera-Gemälde an, jedoch scheinen
sich die Motive, Sonne, Mond, Berge, Wasser, aus dem Gesamtzusammenhang
seiner Landschaften gelöst zu haben, entwickeln Eigenleben.
Plötzlich erscheint die Natur sehr nahe, ihre konkreten Formen
verwandeln sich zunehmend zu ihren Eigenschaften, die sich nun
in Tusche und Pinseltechnik offenbaren: Tiefschwarz bis hellgrau,
hell und dunkel, naß und trocken, weich und hart, glatt
und zerklüftet, Konzentration und Auflösung geraten
in den Vordergrund. Das Konkrete, das sich dem Weitblick der Landschaften
entzog, wird abstrakt, das Abstrakte wird konkret. Weitblick und
Nahblick treffen sich, verschmelzen im unendlichen Raum des weißen
Xuan-Papiers.
"Die Dimension, die für den kreativen
Menschen zählt, ist der Raum, den er sich selbst schafft.
Der Innere Raum ist dem Unendlichen näher als der andere
und es ist das Privileg eines ausgeglichenen Geistes - und die
Suche nach Gleichgewicht ist wesentlich - sich des inneren Raumes
ebenso bewußt zu sein wie des äußeren." (Graves)
(c)Copyright Anne Engelhardt-Ng
Links:
http://www.dr.ng.de
Eine Einführung n die chinesische Tuschmalerei
und Vorstellung von 6 chinesischen Künstlern:
http://www.dr.ng.de/de03.htm
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