LaoZhu
"Mit chinesischen Pinseln und eigener
Tuschtechnik"
René Böll benutzt zwar Pinsel
und Tusche, aber nicht die chinesische Tuschtechnik, er malt mit
Tusche und Malpinsel, die er aus China mitgebracht hat. Ein chinesischer
Maler mit traditionellem Standpunkt würde folgendermaßen
urteilen: Die Technik von René Böll ist weit entfernt
von der chinesischer Maler. Aber gerade deswegen ist seine Malerei
meiner Meinung nach betrachtenswert, weil er ein neues Gebiet
der Tuschmalerei betritt.
Die chinesische Tuschmalerei kristallisierte
sich in jahrtausendealter Tradition heraus und entwickelte sich
ursprünglich aus dem Wesen der farbigen Malerei. Die schwarze
Tuschmalerei gilt als Vollendung der chinesischen Bildenden Kunst.
Bereits vor dem 17. Jahrhundert entwickelte sie sich aus dem Farbgefühl
heraus, gerade umgekehrt zur europäischen Entwicklung, wo
sich normalerweise aus der Grisaille die farbige Malerei entwickelte.
Wang Mian (1287-1359) , ein Zeitgenosse Giottos,
hat ein Gedicht verfaßt::
Dunstwellen in den Wolken und Strand im Nebel
sind leicht zu sehen,
aber sehr schwer zu malen
Hätte ich gewußt, daß
dies dem Geschmack meiner Zeitgenossen nicht entspricht,
hätte
ich mehr Karminrot gekauft und Päonien gemalt.
In dem Gedicht wird über Wolken und
Nebel gesprochen, Symbole der Landschaft Südchinas in der
Regensaison, gemeint ist die Benutzung von Tusche. Das Gedicht
spricht über Päonien und Karminrot, gemeint ist die
Farbe. Wang Mian ist ein Maler, der die Farbtechnik gut beherrscht,
seine karminroten Pflaumenblüten sind bis heute noch erhalten.
Wang Mian unterscheidet sich von den vier bekannten Yuan-Malern
( Wang Meng, Wu Zhen, Ni Zan und Huang Gongwong), die keine Farbe
benutzen. Sein Gefühl baut sich auf Farbe auf.
Nach dem 17. Jahrhundert wurde Tuschmalerei
durch Xu Wenzhang und Bada Shanren zu einem eigenständigen
Stil. Infolgedessen wurde sie besonders in der großen Handelsstadt
Yangzhou sehr beliebt und von den reichen, ungebildeten Salzhändlern
gekauft. Schon zu dieser Zeit hatten Tuschmalerei und farbige
Malerei keine direkte Beziehung zueinander.
Das Gefühl für Tusche in den Bildern
von René Böll steht in engem Zusammenhang mit seiner
Farbbeherrschung. Sein extremes Farbgefühl ist sehr ungewöhnlich
und resultiert aus seiner Vorliebe für Farben. In seinem
Atelier hat René Böll ein Sortiment Hunderter von
Farben und Pigmenten aus vielen Ländern gesammelt. Er hat
sogar chinesische Tusche, die über hundert Jahre alt ist,
Farben aus den Grabstätten von Ecuador und Pigmente, die
nach Rezepten Ägyptens und der Renaissancezeit hergestellt
wurden, gesammelt. Aber viel wichtiger ist René Bölls
Verständnis für Charakter und Geschmack von Farben,
so z.B. für das gleichartige Rot, dessen Farbwert und Farbstärke
scheinbar identisch sind, jedoch im Hinblick auf das Temperament
von Yin und Yang, warm und kalt, im Hinblick auf den Geschmack
bitter und süß, scharf und neutral unterschiedlich
sind. Auf dieser Erde gibt es eine Unzahl von Farben, und die
Künstler greifen meistens nur auf die lokal zugänglichen
Farben zurück, um sie bis zur Vollendung zu benutzen.
Aber René Böll benutzt Farben
aus aller Welt und probiert diese systematisch aus, seine Werke
zeugen von diesen Farbexperimenten. Ich glaube, daß er sogar
die Farben vom Mond und vom Mars bekommen möchte, kann sein,
daß es auf der Sonne noch mehr Farben gibt, die ihm noch
reichhaltigere Farbschöpfungen ermöglichen könnten.
Die Wirkung der Sonne wird zum Hauptthema von Bölls Werken,
Helligkeit und Traurigkeit kommen in seinen Farben zum Ausdruck,
besonders in seinem lebendigen Rot mit warmem Temperament in einem
kalten Ton erdiger Steine. Auf die leere Fläche trägt
der Maler weiße Farbe als Grundierung für den organischen
Zusammenhang auf, und danach gegensätzliche kalte und warme
Farben ..Mit diesem komplizierten Prozeß arbeitet er vibrierende
Lichtlinien heraus und gestaltet die Farbfläche zu einer
Theaterbühne der Sonne.
René Böll malt mit Tusche Farben
und Sonne. In ihrer Fläche gibt es manchmal weiße Stellen,
manchmal graue, manchmal wird sie von Bergen verdeckt, manchmal
ist sie noch nicht aufgegangen. Die Strahlen und Reflexion des
Sonnenlichts sind ursprünglich in Farben gemalt und werden
jetzt durch Tusche ersetzt. Im Abbild Seite 47 wird die Tusche
zu Wolkenschichten, dunkle und helle Tusche werden zu dichten
und dünnen Wolken. Mit der Strahlkraft der Sonne organisiert
er in seinen Bildern warme und kalte Töne, im Vordergrund
einen Berg, der seitlich von der Sonne bestrahlt, hell ist wie
sie. Die sonnenabgewendete Seite des Berges ist dunkel, ein Fluß
schwarzer Tusche, die vom Stein in den Himmel überfließt.
Damit wird die Lichtstrahlung zu einer friedlichen Atmosphäre
des Chaos ( chinesisch: hundun).
Im Abbild Seite 39 ist die Lichtstrahlung
nicht mehr so sanft, sondern scharf und kontrastreich schwarz
und weiß, gleich einem Blitz. Dieser Effekt wird verstärkt
durch die gleichmäßig graue Fläche auf der linken
Seite des Bildes und der dicken schwarzen Tusche auf der rechten
Seite des Bildes, als strahle das Himmelslicht auf die Wasserfläche.
Dieser Tuscheffekt wird in der traditionellen chinesischen Malerei
kaum benutzt.
Im Abbild Seite 36/37 wird die Sonne zu einem
Lichtrad; die Änderung von Licht und Farbe ergibt sich nur
aus der Beobachtung der Linien des Lichtrads. Trockene, kräftige
Tusche und leichte, nasse erzeugen das Gefühl einer Rotation
des Lichts. Wahrscheinlich ermöglicht der christliche Hintergrund
des Malers diesen Tuscheffekt, mit dem er die Sonne und den Heiligenschein
Gottes zu seinem subjektiven Bild macht, das er auf den Hintergrund
des Himmels projiziert. Dieses schwarze Rotationsgefühl erscheint
sehr oft in seinen Bildern, wo die Sonne auf die Erdfläche
trifft und die helle Reflexion den Schwerpunkt seiner Bilder in
die schwarze Tusche hinein verlagert. ( siehe Abbild Seite...
).
Die Benutzung der Tusche von René
Böll erzeugt Licht und Farbe, und darin unterscheiden sich
seine Arbeiten von der chinesischen Tusch- und Pinselbenutzung.
In der chinesischen Kalligraphietradition hat die Pinseltechnik
mit Wang Xizhi (321-379) bereits einen hohen Vollendungsgrad erreicht
und erfährt eine Übertragung auf die Malerei durch Zhao
Mengfu (1254 - 1322). Er faßte zusammen:
Ein gut gemalter Stein muß in "flatternder
Weißtechnik" gemalt sein (fei bai: kalligraphischer Stil,
gekennzeichnet durch flüchtige, mit einem halbtrockenen Pinsel
geschriebene Striche)
ein gut gemaltes Holz wie zhou (Siegelschrift)
Bambus
gemalt im bafen Stil (Han li shu: Hanzeitlicher Kalligraphiestil).
Diese Kombination der Maltechniken wurde
zur Tradition der chinesischen Malerei. Kenner chinesischer Malerei
betrachten nicht nur die Anwendung der Tusche, sondern in erster
Linie die Handhabung der Pinseltechnik um herauszufinden, inwieweit
der Maler die kalligraphischen Techniken beherrscht und wie er
diese in der Malerei benutzt. Ohne diese Betrachtung ist es schwer
herauszufinden, welche Qualität der Maler erreicht. René
Bölls Pinselbenutzung kann man nicht mitchinesischen Kriterien
beurteilen, so wie man die Melodie eines Pipa Stückes nicht
mit einem europäischen Piano-Spiel vergleichen kann.
René Bölls Pinseltechnik kommt
aus dem Unterirdischen, er sieht die Höhe einer geheimnisvollen
Seele, ein Skelett, verdeckt unter Wellen, im Berghang, in Hügeln,
auf der Erde, oder im Schatten des Sonnenlichts.
Im Abbild Seite 35 erscheint das Skelett
wie ein Kaninchen, aber in Wirklichkeit ist es ein Skelett mit
einem gräsernen Umhang, versteckt in einer Erdspalte. Diese
malt er mit sicherem Gefühl und schnellem Pinselstrich. Unter
dieser Seele benutzt er nasse Pinsel, ein Schlamm- und Grasgemisch.
Der scharfe Kopf scheint mit entgegengesetztem Pinselzug gemalt.
Er spielt mit den Wellen des feuchten Papiers. Gleichzeitig malt
er Erdrisse in trockener Technik.
Eine Fäden ziehende und erdrissige Methode
benutzt René Böll im Abbild Seite 41. Er konstruiert
eine gespenstische Tür, durch die die Seele ein- und ausgeht.
Das Abbild des Geistes erscheint hinter dieser Tür wie ein
Regenbogen. Sehr seltsam ist der starke horizontale Strich, der
das Abbild der Seele versteckt. Als sei die Seele plötzlich
aus der Erde in den Lichtkreis getreten, hinterläßt
sie kometenhaft ihre Tuschspuren (siehe auch Abbild Seite 33).
|