Olaf Zimmermann
"Zeitspringer" - René
Böll im Hyperraum der Kunst
Zeitspringer, Menschen, die zwischen Raum
und Zeit hin und her springen können, sind ein beliebtes
Motiv in der Science-fiction-Literatur. Ohne große Mühe
teleportieren sie sich selbst von einem Planeten zum nächsten,
lassen Sonnensysteme hinter sich und benutzen eine gewagte Auslegung
der Einsteinschen Relativitätstheorie, um durch Vergangenheit
und Zukunft zu reisen. Manche dieser "Zeitspringer" verfügen
über die angeborene Fähigkeit, sich mittels Gedankenkraft
durch Raum und Zeit zu teleportieren. Andere wiederum benötigen
aufwendige Apparaturen, um die eigene Dimension zu verlassen.
Allen diesen fiktiven Springern ist gemeinsam, daß sie in
einer fernen Zukunft leben oder aber Hunderte von Lichtjahren
entfernt ihr "Unwesen" treiben. Liest man einen solchen Roman
und ist wie ich ein Freund dieses Genres, dann wird man diesen
Umstand bedauern. Es ist schon ein wenig schmerzlich, daß
man nicht in einer Zeit lebt, die solche "Extratouren" zuläßt,
oder wer würde nicht einmal gerne einen Blick in unsere Zukunft,
in unsere Vergangenheit und vielleicht sogar in ein anderes Sonnensystem
werfen?
Manche Künstler können ohne telepathische
Begabung und ohne spezielle Apparaturen bereits in diese Welt
schauen. Ich meine nicht die naiven Malereien mancher Illustratoren,
die sich mit unserer beschränkten Vorstellungskraft ein Bild
von dem "Unbekannten" machen wollen. Ich denke an die Künstler,
die etwas "Inneres" in ihrer Kunst suchen. Ihnen stehen Fenster
offen, die andere nicht sehen können. Sie schauen in unsere
Welt und finden immer wieder Unbekanntes. In der Science-fiction-Literatur
werden die Teleporter meist verehrt oder gefürchtet, die
visionären Künstler unserer Zeit dagegen eher belächelt.
Möglicherweise ist ein Blick in andere Dimensionen unserer
Welt viel unspektakulärer als die Entdeckung eines Sonnensystems
oder eines unverwüstlichen Aliens. Doch diese Einblicke sind
heute schon möglich und keine Zukunftsmusik.
René Böll ist so ein visionärer,
unspektakulärer Maler, der in seinen Bildern einen Blick
in unsere Zukunft und Vergangenheit wagt. Seine Malerei beschränkt
sich nicht auf die westliche, gradlinige Sicht der Dinge. Er ist
offen für Inspirationen aus allen Kulturen. "Steinzeitliche
Wandmalereien sind mir genauso gegenwärtig," sagt er, "wie
die heutige westliche und auch die Jahrtausende alte östliche
Malerei oder auch die sogenannte primitive Kunst anderer Völker."
Was in der Raumfahrt der Zukunft vielleicht
ein Hyperlichtgeschwindigkeitsflug zum Orionnebel ist, ist für
René Böll ein erheblich langsamerer Flug nach Ecuador.
In vielen Reisen hat er die Anden und den Urwald für sich
entdeckt und auch die sagenhaften Galapagos-Inseln besucht. Auf
diesen, wo sich durch eine Laune der Natur ein wenig Urgeschichte
unserer Welt erhalten hat, lernte er die Umwelt mit anderen Augen
zu sehen. "Für mich ist das Erleben der Natur immer wieder
ein Wunder", sagt er. "und ich entdecke täglich neu ihren
Reichtum." Und so ist es kein Wunder, daß die Themen seiner
Bilder Naturerlebnisse sind.
Seine Bilder sind stille, erdfarbene, dunkle,
warme Landschaftsbilder. Sie zeigen Urformen des Lebens, die ihre
Gültigkeit in allen Kulturen und Völkern gleichermaßen
haben. Menschen, Tiere oder von Menschenhand geschaffene Formen
finden in seinen Bildern keinen Platz. Die Motive sind auf das
Wesentliche, Archetypische reduziert.
Wenn man in den Kritiken zu René Bölls
Werken blättert, liest man immer wieder von Untergangsvisionen,
die in seinen Bildern beschrieben sein sollen. Ich sage, diese
Bilder sind Lebensvisionen, die eine zentrale Wirklichkeit von
Leben -das Sterben- nicht aussparen. Natur ist ein Prozeß
der ständigen Veränderung. Aus Leben wird Tod, und aus
Tod wird wieder Leben. Es macht ängstlich und unsicher, wenn
man Formen und Farben sieht, die etwas längst Verschüttetes
in uns ansprechen. René Bölls Arbeiten zeigen die
Erde in einer Zeit, in der die großen Verwandten der lebenden
Komodowarane unsere Welt beherrschten. Gleichzeitig zeigen sie
auch die Erde in einer möglichen Zukunft, in der die großen
Echsen wieder genügend Platz zum Leben hätten, wären
sie nicht schon längst ausgestorben.
Dieser doppelte Blick der Bilder, gleichzeitig
beruhigende Urform und Mahnung an die Zukunft, macht das Betrachten
René Bölls Bilder zu einem spannenden Vergnügen.
Dieser doppelte Blick verwirrt auch unsere enge Vorstellung von
"avantgardistischer" Kunst. Hier schert sich ein Künstler
nicht um die "aktuellen" Entwicklungen in der Kunst, mehr noch,
er stellt sich sogar wissentlich abseits.
Die Helden der Zukunftsmärchen sind
immer an Ungewöhnlichem interessiert. Hier kann man dann
doch etwas aus der Science ficition lernen.
29.11.1995,(c) Olaf Zimmermann
Links:
http://www.olaf-zimmermann.de
http://www.zimmermann-franken.de
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